Interview mit Prof. Dr. Thomas N. Seyfried, Biologe und Krebsstoffwechselforscher

Das folgende Interview stellt einen Auszug aus meinem bald erscheinenden Buch „KREBS – verstehen, vermeiden und ganzheitlich behandeln“ dar, welches ingesamt zwölf derartige Interviews mit renommierten Therapeuten, Ärzten und Wissenschaftlern enthält.

Thomas N. Seyfried ist Professor für Biologie am Boston College im US Bundesstaat Massachusetts; er promovierte 1976 in Genetik und Biochemie an der Illinois Universität in der Stadt Urbana.

Sein Studium absolvierte er an der New England Universität, wo er vor kurzem den angesehenen Alumni Achievement Award verliehen bekam. Er besitzt auch einen Masterabschluss in Genetik von der Illinois Universität in der Stadt Normal im Zentrum von Illionois. Thomas Seyfried diente während dem Vietnamkrieg in der ersten Kavallerie-Division der US Army, wo er mehrfach mit Medaillen und Empfehlungsschreiben ausgezeichnet wurde. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Neurologie an der medizinischen Fakultät der Yale Universität, wo er sich auch zum Assistenzprofessor habilitierte. Andere Auszeichnungen und Ehrungen wurden ihm von verschiedensten Organisationen verliehen, darunter die American Oil Chemists Society, das National Institute of Health, die amerikanische Gesellschaft für Neurochemie und der speziellen Interessengruppe für ketogene Diäten der amerikanischen Epilepsiegesellschaft. Dr. Seyfried war früher Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der nationalen Tay-Sachs and Allied Diseases Association. Für sein Lebenswerk wurde er von der  Akademie für komplementäre und integrative Medizin und der internationalen Dose Response Society ausgezeichnet, und für seine Krebsforschungen erhielt er den Wissenschaftspreis des American College of Nutrition. Derzeit gehört er mehreren Redaktionsleitungen an, unter anderem für die Fachzeitschriften Nutrition & Metabolism, Neurochemical Research, dem Journal of Lipid Research, und ASN Neuro, wo er der Chefredakteur ist. Dr. Seyfried hat mehr als 200 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und ist Autor des Buches Cancer as a Metabolic Disease: On the Origin, Management, and Prevention of Cancer (Wiley Press). Sein Buch wurde vor Kurzem ins Chinesische übersetzt und eine türkische Übersetzung ist in Arbeit. Er hat seine Forschung in vielen Podcasts und Radiointerviews beschrieben, und seine Arbeit bildet die Grundlage für den Dokumentarfilm The Cancer Revolution. Eine komplette Auflistung der wissenschaftlichen Publikationen von Dr. Seyfried kann in der medizinischen Literaturdatenbank PubMed aufgerufen werden (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov).

Lieber Tom, vor 100 Jahren veröffentlichte Otto Warburg seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse zum Tumorstoffwechsel, nach denen generell alle aggressiven Tumore durch eine hohe Aufnahme von Glukose bei gleichzeitig vermehrter Freisetzung von Laktat gekennzeichnet sind. Wann und warum hast Du ein Interesse an Warburg’s Arbeiten entwickelt?

Das war, als ich begann, Forschungen zur therapeutischen Wirkung von Kalorienrestriktion und kalorienbeschränkter ketogener Diäten bei Mäusen mit Hirntumoren durchzuführen. Wir fanden heraus, dass die therapeutischen Effekte dieser Behandlungen direkt mit einer Senkung des Blutzuckerspiegels und einer Erhöhung der Ketonkörper zusammenhingen. Warburg lieferte die Hinweise, dass alle Krebszellen die aerobe Fermentation von Glukose erhöhen, da ihre Fähigkeit der oxidativen Phosphorylierung (=Zellatmung) vermindert ist. Wir fanden auch heraus, dass alle häufigen Krebsarten durch Abnormitäten in der Anzahl, Struktur und Funktion ihrer Mitochondrien gekennzeichnet sind. Somit haben wir Warburg‘s Schlussfolgerungen bestätigt. Warburg hatte absolut Recht, als er Krebs als eine Störung der mitochondrialen Funktion definierte. Wir berichtigen aktuell ein paar Fehldeutungen, die im Zusammenhang mit Warburg’s Ergebnissen verbreitet wurden und sammeln neue Informationen, die Warburg damals nicht zur Verfügung standen, die aber die Neuformulierung der Theorie von Krebs als mitochondriale Stoffwechselerkrankung ermöglichen.  

Kannst Du ein paar dieser Fehldeutungen von Warburg’s Ergebnissen benennen und kurz erklären?

Hier sind die Fehlinterpretationen, die Warburg in Bezug auf die ATP-Erzeugung in Krebszellen gemacht hat, und die Richtigstellungen dazu.

1. Warburg verwendete die Milchsäureproduktion als Maß für die ATP-Menge, die in Krebszellen durch Glykolyse erzeugt wird. Er nahm an, dass 1 mol Laktat äquivalent zu der Produktion von 1 mol ATP wäre. Er wusste nicht, dass viele Krebszellen große Mengen der Pyruvatkinase M2 (PKM2)-Isoform exprimieren, welche nicht wie die PKM1-Isoform im letzten Schritt der Glykolyse durch die Umwandlung von Phosphoenolpyruvat in Pyruvat ATP erzeugt (sie verursacht einen Rückstau in der Glykolyse, so dass deren Zwischenprodukte zur Nukleinsäure-, Phospholipid- und Aminosäure-Synthese abgezweigt werden). Krebszellen produzieren deshalb eine erhebliche Mange Laktat, unabhängig von der ATP-Synthese. Es ist insbesondere schwierig, das in der Glykolyse produzierte ATP in Krebszellen zu messen, die eine Mischung aus den PKM2 & PKM1 Isoformen haben. Also lag Warburg falsch, als er die Laktatproduktion als Maß für die ATP Synthese in der Glykolyse benutzte.

2. Warburg nahm auch an, dass der Sauerstoffverbrauch von Tumorzellen komplett mit der ATP Synthese durch oxidative Phosphorylierung korrelieren würde. Er rechnete aus, dass pro 1 mol verbrauchtem Sauerstoff 7 mol ATP durch oxidative Phosphorylierung erzeugt würden. Obwohl in normalen Zellen und Geweben der Sauerstoffverbrauch gut mit der ATP Erzeugung korreliert, zeigen neuere Daten aus mehreren Studien, dass in Krebszellen der Sauerstoffverbrauch nur teilweise mit einer ATP Erzeugung durch  oxidative Phosphorylierung korreliert. Der größte Teil des verbrauchten Sauerstoffs in Krebszellen entfällt auf die Produktion von ROS und andere sauerstoffverbrauchenden Reaktionen, die unabhängig von der oxidativen Phosphorylierung sind. Darum lag Warburg falsch, als er den Sauerstoffverbrauch von Krebszellen als Maß für das durch oxidative Phosphorylierung erzeugte ATP benutzte.

3. Schließlich wusste Warburg nichts von der Möglichkeit, ATP aus Glutamin zu erzeugen, was innerhalb der Glutaminolyse auf Stufe des Succinyl-Coenzym A durch mitochondriale Substratebenenphosphorylierung passiert (Anmerkung: Succinyl-Coenzym A entsteht im katabolen Stoffwechselweg der Glutaminolyse aus α-Ketoglutarat, siehe Abbildung 14). Die Erzeugung von ATP durch Glutaminolyse kann eine unzureichende ATP-Produktion sowohl durch Zellatmung als auch durch Glykolyse kompensieren. Sowohl Warburg als auch sein Hauptkritiker Sidney Weinhouse wussten nicht über Glutaminfermentation als wichtige Quelle von ATP in Krebszellen Bescheid. Daraus folgt, dass die Argumente zwischen Warburg und Weinhouse, die sich auf Berechnungen der ATP Synthese durch den Meyerhof-Quotient bezogen, belanglos sind.

Warburg lag vollkommen richtig, indem er Krebs als Störung des mitochondrialen Energiestoffwechsels definierte, die eine kompensatorische Fermentation zur ATP-Gewinnung notwendig macht. Er fehldeutete nur die Laktatproduktion und den Sauerstoffverbrauch als zuverlässige Maße für die ATP-Produktion durch Glykolyse bzw. oxidative Phosphorylierung. Da zur damaligen Zeit kaum Daten zur Möglichkeit der ATP-Synthese durch mitochondriale Substratebenenphosphorylierung vorlagen, wusste Warburg nichts von dieser zweiten Möglichkeit der Fermentation, die ohne Sauerstoff, oxidative Phosphorylierung und Glykolyse ATP erzeugen kann. Warburg lag dahingehend richtig, dass er behauptete, aerobe Fermentation (=Fermentation trotz normaler Sauerstoffversorgung) würde eine unzureichende oxidative Phosphorylierung kompensieren.

In modernen Gesellschaften ist Krebs zu einer Art Pandemie ausgeartet. Welches sind die wichtigsten Risikofaktoren für die Krebsentstehung? Ist Fleisch ein Risikofaktor?

Ernährung und Lebensstil sind die wichtigsten Risikofaktoren für die Krebsentstehung. Der Verzehr hochverarbeiteter kohlenhydratreicher Lebensmittel bei gleichzeitigem Fehlen eines angemessenen täglichen körperlichen Trainings sind die hauptsächlichen Risikofaktoren für die meisten chronischen Krankheiten inklusive Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ 2-Diabetes, Übergewicht, Demenz und anderen. Übergewicht hat das Rauchen als wichtigen Risikofaktor für Krebs nun abgelöst.

Der Verzehr von natürlichem Fleisch ist kein Risikofaktor für Krebs. Unsere steinzeitlichen Vorfahren ernährten sich hauptsächlich von Fleisch, wie Du ja auch in diesem Buch beschrieben hast. Krebs ist unter indigenen Stämmen extrem selten, solange sie ihrem ursprünglichen Lebensstil folgen. Ohne Fleischkonsum in unserer evolutionären Vergangenheit würden wir heute nicht als menschliche Spezies existieren. Fleisch enthält kaum Kohlenhydrate. Von unserer Biologie her sind wir hervorragend an Fleischkonsum angepasst.

Kannst Du kurz beschreiben, was die wesentlichen Veränderungen sind, die während dem Übergang einer normalen Zelle in eine Krebszelle passieren?

Jede chronische Verletzung unserer Gewebe, die eine Schädigung der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien zur Folge hat, kann eine normale in eine Krebszelle verwandeln. Zu diesen Verletzungen zählen chronische Entzündungen, zeitweilige Hypoxie, Aussetzung gegenüber Karzinogenen oder Strahlung, Infektion mit onkogenen Viren, seltene vererbte Mutationen und der Alterungsprozess. Die Funktion der Mitochondrien kontrolliert die Zelldifferenzierung und den Zellzyklus. Die schrittweise Ersetzung der ATP-Erzeugung mittels oxidativer Phosphorylierung durch ATP-Erzeugung mittels Fermentation führt zu einer Entdifferenzierung und zur Fehlregulation des Zellwachstums. Eine Fehlregulation des Zellwachstums entspricht der offiziellen Definition von Krebs.

Gibt es Deiner Erfahrung nach einen relativen Unterschied zwischen Glukose und Glutamin hinsichtlich der Wichigkeit für Tumorzellen und falls ja, von welchen Faktoren hängt dieser ab?

Beide Substrate sind notwendig und hinreichend für die Lebensfähigkeit und das Wachstum der meisten, wenn nicht sogar aller Tumorzellen. Kohlenstoff aus Glukose befeuert die Glykolyse und den Pentosephosphatweg zur Erzeugung von Biomasse, während Glutamin die Glutaminolyse antreibt und Stickstoff für die Sythese von DNA, RNA und Proteinen liefert. Beide Substrate unterstützen auch die Erzeugung von ATP durch Substratebenenphosphorylierung (=Fermentation) im Zytoplasma bzw. den Mitochondrien. Wir haben bis heute weder eine Tumorzelle finden können, die im Stande war, längerfristig ohne Glukose oder Glutamin zu überleben, noch konnten wir eine Zuckerverbindung, Fettsäure oder Aminosäure finden, die einer Tumorzelle das Überleben ohne Glukose und Glutamin ermöglicht hat.  

Kannst Du kurz das von Dir empfohlene Behandlungsprotokoll für Krebspatienten vorstellen?

Wir verwenden die therapeutische Press-Pulse-Strategie, um die Verfügbarkeit von Glukose und Glutamin für Tumorzellen einzuschränken. Tumorzellen können in Abwesenheit von Glukose und Glutamin weder Fettsäuren noch Ketonkörper für ihr Überleben nutzen. Daraus folgt im Rahmen der mitochondrialen Stoffwechseltheorie, dass die einfachste Strategie um Krebs in den Griff zu bekommen in einer Einschränkung der Verfügbarkeit von Glukose und Glutamin mit gleichzeitigem Wechsel in einen ketogenen Zustand besteht.

Was sind Deiner Meinung nach die wichtigsten Gründe dafür, dass es Therapien, die beim Stoffwechsel ansetzen, noch nicht in die klinische Anwendung geschafft haben und von vielen Onkologen sogar abgelehnt werden?

Die meisten Onkologen unterstützen solche Stoffwechseltherapien nicht, weil sie große Wissenslücken über die Biologie von Krebs besitzen und unbedingt den Status Quo aufrechterhalten wollen.

Ich habe auch gehört, wie Du darüber gesprochen hast, dass der menschliche Körper ein enormes Potential zur Selbstheilung besitzt und dass Gebete diesen Prozess noch verbessern können. Kannst Du das genauer erklären? 

Der menschliche Körper kann sich selbst heilen, wenn er die Möglichkeit dazu bekommt. Die Einschränkung der Nahrung hat bei den meisten Säugetieren heilsame Effekte. Menschen scheinen die einzigen Säugetiere zu sein, die einfach weiter essen, wenn sie krank oder verletzt sind. Es ist lange bekannt, dass Fasten, während dem nur Wasser getrunken wird, sehr heilsame Effekte hat. Beten liefert die Kraft, ein solches Fasten diszipliniert durchzuhalten.

Ich erinnere mich voll Freude zurück an unsere gemeinsame Kneipentour 2017 in Tampa, Florida, wo wir Bier, Wein oder andere Getränke hatten (die genauen Details weiß ich nicht mehr…). Scheinbar teilen wir beide die Ansicht, dass für jemand, der gesund ist, keine Notwendigkeit besteht, übermäßig streng bei der Ernährung oder anderen Lebensstilfaktoren aufzupassen, und dass sozialer Austausch sehr wichtig ist. Was sind Deine 5-10 besten Ratschläge für ein langes gesundes Leben?

Das hier sind nur Anregungen:

1. Arbeite solange Du kannst und solange Dir die Arbeit Spaß macht.

2. Pflege Deine sozialen Kontake.

3. Achte auf Dein Körpergewicht, so dass der BMI innerhalb des Normalbereichs bleibt.

4. Trainiere täglich, um eine gute Herz-Kreislauffunktion zu erhalten.

5. Am wichtigsten: Versuche den Konsum von hochverarbeiteten kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln zu vermeiden!

Keto-Hotspot Unterfranken

Im November 2022 erschien in Frontiers in Nutrition eine chinesische Studie, die die bibliometrischen Daten zu allen Publikationen mit dem Thema „Ketogene Diät und Krebs“ analysierte [1]. Eingeschlossen wurden insgesamt 500 Publikationen, die zwischen 1. Januar 2012 und 31. Dezember 2021 veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse haben mich positiv überrascht, denn offenbar ist Schweinfurt ein weltweiter Hotspot was die Forschung zu diesem Thema betrifft.

Zunächst einmal sieht man aus untenstehender Abbildung (übernommen aus [1]) , wie sich die jährliche Zahl der Publikationen zu „Keto und Krebs“ seit 2012 entwickelt hat (A), und dass die Häufigkeit mit der solche Artikel von anderen zitiert werden, über die Jahre zunahm (B). Insgesamt bezeugen die Trends ein steigendes Interesse an dem Thema in der Wissenschaft.

Dann die freudige Überraschung: Die Analyse zeigt, dass meine Arbeiten zu dem Thema zu den zweithäufigsten und zweitmeist zitierten weltweit gehören. Nur Tom Seyfried hat mehr zu „Keto und Krebs“ publiziert. Auch PD Dr. Reinhart Sweeney, Leiter der Klinik für Strahlentherapie Schweinfurt, hat es in die Top 10 der Autoren auf Platz 5 geschafft.

Entsprechend rangiert das Leopoldina Krankenhaus weltweit auf Platz 8 was die Zahl der Publikationen zu „Keto und Krebs“ betrifft. An erster Stelle steht die Harvard Universität, gefolgt vom Boston College und dem Pennsylvania Commonwealth System of Higher Education, einem Verbund von vier Universitäten des US-Staates Pennsylvania.

Wahrscheinlich hätte es auch die Uniklinik Würzburg mit Prof. Dr. Ulrike Kämmerer in die Top 10 geschafft, wenn Li et al. [1] noch das Jahr 2011 berücksichtigt hätten. Damals erschienen nämlich zwei wichtige und vielzitierte Arbeiten: zum einen der weltweit erste Übersichtsartikel zu dem Thema „Keto und Krebs“, den Uli Kämmerer und ich bei Nutrition and Metabolism veröffentlicht hatten [2] und der – Stand 22.03.2023 – laut Google Scholar 293mal, laut Scopus 143mal zitiert wurde; zum anderen der relativ zeitgleich im selben Journal erschienene Artikel, der die Ergebnisse einer Pilotstudie von Uli Kämmerer und ihrem Team zusammenfasste, in der die Lebensqualität von fortgeschrittenen Krebspatienten unter einer ketogenen Diät untersucht wurde [3]; diese Studie wurde bis jetzt 371mal (laut Google Scholar) bzw. 181mal (laut Scopus) zitiert!

Etwas stolz können wir also die Region Würzburg-Schweinfurt als weltweites Forschungszentrum zu ketogener Diät und Krebs bezeichnen, was auch zu dem guten Abschneiden Deutschlands im Ländervergleich beigetragen hat (Deutschland auf Platz 2 hinter den USA und gefolgt von Italien) [1]. In Zukunft sieht es allerdings so aus, dass die Chinesen, die zum Zeitpunkt der Analyse auf Platz 4 rangierten,  bald Deutschland überholen könnten, denn ihr wissenschaftlicher Output auch zu diesem Thema steigt enorm.

[1]         Li R, Huang Q, Ye C, Wu C, Luo N, Lu Y, et al. Bibliometric and visual analysis in the field of ketogenic diet on cancer from 2012 to 2021. Front Nutr 2022;9:1060436.

[2]         Klement RJ, Kämmerer U. Is there a role for carbohydrate restriction in the treatment and prevention of cancer? Nutr Metab (Lond) 2011;8:75. doi:10.1186/1743-7075-8-75.

[3]         Schmidt M, Pfetzer N, Schwab M, Strauss I, Kämmerer U. Effects of a ketogenic diet on the quality of life in 16 patients with advanced cancer: A pilot trial. Nutr Metab (Lond) 2011;8:54.

Ernährung, Emotionen und Politik

Am Mittwoch, den 29. Januar, war ich als Referent eingeladen, beim jährlichen „Update Mammakarzinom“, das von Prof. Dr. Weigel im Leopoldina Krankenhaus veranstaltet wird, über das Thema „Ketogene Ernährung unter Tumortherapie?!“ vorzutragen. Eigentlich nichts besonderes, immerhin habe ich darüber schon oft geredet und kann die meisten Studien aus dem Gedächtnis zitieren. Besonders war allerdings die Tatsache, dass viele meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen und natürlich auch viele Ärzte unseres Krankenhauses und der Umgebung anwesend waren, und ich darin eine Chance sah, mehr Interesse an der ketogenen Ernährung als komplementäre Tumortherapie und der dahinter steckenden Physiologie zu wecken. Doch es sollte tatsächlich ein besonderer Vortrag werden, der vielen noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Mein Ziel war, eine allgemeine Einführung in das Thema zu geben, ein paar Synergieeffekte mit Strahlen-, Chemo und zielgerichteten Therapien zu zeigen und unsere eigenen Zwischenergebnisse aus der KETOCOMP Studie vorzustellen. Der Vortrag kann hier heruntergeladen werden. Schon während dem Vortrag entstand im Saal vor allem in den hinteren Reihen ein Getuschel, das ich während dem Reden als gar nicht so stark wahrnahm, das aber nach späterer Aussage meiner Arbeitskollegen fast schon unverschämt laut war. Ich weiß nur noch, dass das Getuschel laut wurde, als ich Wilhelm Brünings‘ historische Studie [1] zur „kohlenhydratfreien Ernährung“ kombiniert mit hohen Insulingaben aus dem Jahr 1941/42 vorstellte.

Nach einem wissenschaftlichen Vortrag ist es normalerweise üblich, dass man ein paar Fragen aus dem Publikum zulässt und kurz über die dargestellten Daten und Hypothesen diskutiert. Ich freute mich schon auf Fragen, doch es kamen keine; stattdessen gingen einige sofort zum Angriff über. Ein Arzt am Leopoldina behauptete, er habe früher in Würzburg zusammen mit Ulrike Kämmerer gearbeitet und beide hätten sehr früh die Idee einer ketogenen Ernährung für Tumorpatienten fallen gelassen. Leider ein Eigentor, denn ich erwiderte, dass ich mit Ulrike befreundet sei und deshalb wüsste, dass sie sehr wohl noch an der ketogenen Ernährung forscht. Die nächste Attacke kam von einem Onkologen im Ruhestand, der zuerst einmal ausführlcih darstellte, wie lange er als Onkologe gearbeitet hatte und dass er neben dem Dr. med. auch ein Biochemiestudium absolviert hatte. Mir war klar: Alles was jetzt kommt muss der Wahrheit entsprechen, denn wie kann sich jemand, der Arzt und Biochemiker zugleich ist, irren? Das ist das Prinzip der Eminence-based Medicine! Und so spulte er – übrigens auch Schweinfurter Lokalpolitiker – einen fünfminütigen Monolog ab, der im wesentlichen aus fünf Kritikpunkten bestand, aber vom Stil her eher an eine Parteienwahlkampfrede auf dem Marktplatz, nicht aber einen wissenschaftlichen Disput erinnerte. Unter anderem kritisierte er das Ergebnis einer relativ neuen iranischen Studie [2], die ich vorgestellt hatte, welche einen Überlebensvorteil von neoadjuvant mit Chemotherapie behandelten und sich dabei ketogen ernährenden Frauen zeigen konnte putty download , als „nicht signifikant“, obwohl die Kaplan-Meier Kurven mit p=0,04 nominell signifikant verschieden waren. Auch stritt er jegliche Relevanz von präklinischen Studien und Einzelfallberichten für die Klinik ab, und behauptete, die ketogene Ernährung würde Patienten aushungern ohne aber den Tumor aushungern zu können, da man ihm nie die Glukose entziehen könne. Ich hatte übrigens mit keinem Wort behauptet, dass das Ziel einer ketogenen Ernährung das Aushungern des Tumors sei. Schließlich das Argument, es gebe keine Evidenz für die ketogene Ernährung bei Krebs (inzwischen mein Lieblingsargument, zu dem ich bereits einige Leserbriefe und Arbeiten verfasst habe [3–5]). Ich fragte ihn, welche Ernährung er denn Patienten empfehlen würde, worauf die Standard-Antwort (ich hätte mir die Frage auch sparen können) „eine ausgewogene Ernährung“ kam. Ich fragte, welche Studie denn Evidenz zu Gunsten einer „ausgewogenen Ernährung“ geschaffen hätte, doch dann meldete sich schon die nächste Stimme aus dem Publikum zu Wort: Eine Krankenschwester, die – ebenfalls in einem knapp fünfminütigen, sehr emotionalen Monolog – ihre Erfahrung mit kachektischen palliativen Krebspatienten wiedergab. Diesen hatte offenbar eine selbst verordnete ketogene Ernährung nicht mehr geholfen, obwohl sie sich „jedes Stück Sahnetorte“ verkniffen hatten und damit ihrer Meinung nach auch das letzte Stückchen Lebensqualität aufgegeben hatten. Ich erwiderte, es gebe eben gerade bei kachektischen Patienten einen „point of no return“, ab dem kein spezieller Ernährungsansatz den Krankheitsverlauf mehr umkehren könne, und dass mein Vortrag vor allem um die ketogene Diät als komplementärer Ansatz bei kurativem Behandlungsziel ging. Schließlich kam noch von irgendjemand der Vorwurf, das Internet würde Patienten falsch über sogenannte „Krebsdiäten“ informieren und auf eigene Faust durchgeführte ketogene Diäten in einer Mangelernährung enden. Ich konnte erwidern, Falschinformation im Internet sei heute ein allgemeines Problem, das nichts mit der ketogenen Ernährung an sich zu tun hat. Schließlich war ich froh, als mein Chefarzt Reinhart Sweeney das Wort ergriff und zur Mäßigung aufrief. Er stellte heraus, wie wichtig vor allem unsere KETOCOMP Studie für das Leopoldina Krankenhaus sei, da das Darm- und Brustzentrum auch von der Anzahl unserer Studienpatienten profitiere (als zertifiziertes Zentrum sollte man Studien durchführen) und da wir weltweit eines der größten Kollektive von sich ketogen ernährenden Patienten hätten.

Nach dem Vortrag kamen einige Zuhörer zu mir, die sich sehr positiv äußerten. Im Gedächtnis geblieben ist mir ein Pharma-Vertreter, dessen Sohn erfolgreich mit ketogener Ernährung eine starke Colitis Ulcerosa in Schach hält. Für diesen Mann war klar, dass auch Einzelfälle zählen. Andere beschwerten sich über die aggressiven Kommentare aus dem Publikum. Beim anschließenden Essen stand ich dann irgendwann neben dem Herrn Lokalpolitiker-Arzt-Biochemiker, der allerdings selbst im persönlichen Gespräch hartnäckig blieb. Er hatte ein großes Problem damit, vor dem Vortrag nichts von unserer Studie gewusst zu haben. Den Vogel schoss er dann mit seiner Behauptung ab, Patientinnen würden unter ketogener Ernährung eine Ketoazidose entwickeln. Doch es kam noch schlimmer: Im Nachgang erfuhr ich, dass er sich darüber mokierte, ich hätte eine „KZ-Studie“ vorgestellt. Ein eindeutiger Beleg, dass er sich nicht einmal bemüht hat, etwas über Wilhelm Brünings und dessen Studie aus dem Jahr 1941 nachzulesen. Diese fand in Brünings‘ Privatklinik statt, und letzterer betont explizit die Wichtigkeit der ausreichenden Kalorienzahl für seine Patienten (wie man im Original [1] oder in meinem Übersichtsartikel dazu nachlesen kann [6]).

Insgesamt war dieser Abend das beste Beispiel für den fundamentalistischen Charakter eines Keto-Skeptizismus, den man – wenn auch etwas abgeschwächt – auch in der Fachliteratur finden kann. Der fundamentalistische Skeptizismus argumentiert gegen eine ketogene Ernährung bei Tumorpatienten anhand von Behauptungen, die nicht mit Daten belegt werden können. Das angebliche Herbeiführen einer Ketoazidose bei nicht-Typ I Diabetikern, die Notwendigkeit einer gewissen Menge an Kohlenhydraten in der Ernährung oder das Herbeiführen eines kachektischen Zustandes sind Beispiele dafür. In einem aktuellen systematischen Übersichtsartikel, den ich zusammen mit meiner Masterstudentin Nanina Brehm und Reinhart Sweeney geschrieben habe, äußern wir uns zu diesem fundamentalistischen Skeptizismus und zeigen anhand der Daten dass er nicht begründbar ist [7].

Ganz aktuell berichtet die Diplom-Psychologin Ilona Bürgel von einem ähnlichen Erlebnis, als sie nach einem Vortrag auf dem europäischen Kongress für positive Psychologie heftig von einer Professorin attackiert wurde [8]. Auch sie hatte in diesem Moment kaum eine Chance, Dinge mit Argumenten richtig zu stellen. Doch auch sie nimmt aus diesem Erlebnis viel positives mit: Die Zufriedenheit darüber, gut vorbereitet gewesen zu sein und im Rahmen der nicht erwarteten heftigen Reaktion gut reagiert zu haben sowie die Verbundenheit mit den Menschen, die nach dem Vortrag positives Feedback gegeben haben. Das kann ich nur bestätigen und noch hinzufügen, dass mich dieses Ereignis umso mehr motiviert, weiter an dem Thema ketogene Ernährung für Tumorpatienten zu forschen, damit wir uns bei künftigen Diskussionen noch besser auf Daten stützen können.

Literatur:

[1]        Brünings W. Beiträge zum Krebsproblem. 1. Mitteilung: Ueber eine diätetisch-hormonale Beeinflussung des Krebses. Münchener Medizinische Wochenschrift 1941;88:117–23.

[2]        Khodabakhshi A, Akbari ME, Mirzaei HR, Mehrad-Majd H, Kalamian M, Davoodi SH. Feasibility, Safety, and Beneficial Effects of MCT-Based Ketogenic Diet for Breast Cancer Treatment: A Randomized Controlled Trial Study. Nutr Cancer 2019;0:1–8. doi:10.1080/01635581.2019.1650942.

[3]        Klement RJ. Erheblicher Schaden für den Patienten durch Kohlenhydaratarme Ernährung. Wo ist die Evidenz? Leserbrief zum Beitrag “Krebsdiäten”, FORUM 2014.29;400-404.

[4]        Klement RJ. Beneficial effects of ketogenic diets for cancer patients: a realist review with focus on evidence and confirmation. Med Oncol 2017;34:132. doi:10.1007/s12032-017-0991-5.

[5]        Klement RJ. Ungerechtfertigte Empfehlungen zur ketogenen Diät. Urologe 2018;57:605–6. doi:10.1007/s00120-018-0632-4.

[6]        Klement RJ. Wilhelm Brünings’ forgotten contribution to the metabolic treatment of cancer utilizing hypoglycemia and a very low carbohydrate (ketogenic) diet. J Tradit Complement Med 2019;9:192–200. doi:10.1016/j.jtcme.2018.06.002.

[7]        Klement RJ, Brehm N, Sweeney RA. Ketogenic diets in medical oncology: a systematic review with focus on clinical outcomes. Med Oncol 2020;37:14. doi:10.1007/s12032-020-1337-2.

[8]        Bürgel I. Vom Nutzen ungerechtfertigter Kritik. MTA Dialog 2020;21:110–1.

7. Symposium der EMG

Das diesjährige Symposium der Gesellschaft für evolutionäre Medizin und Gesundheit e.V. (EMG) findet in Würzburg statt. Es unterscheidet sich zu den in den Vorjahren durchgeführten Symposien dadurch putty , dass es in ein dreitägiges Symposium eingebettet ist, und sich somit mehr Zeit zum Austausch und eine breitere Palette an Themen ergibt. Der Schwerpunkt liegt dieses Jahr auf der ketogenen Ernährung und ihrer Anwendung bei verschiedenen Krankheitsbildern wie z.B. Alzheimer, Autismus, Migräne oder Krebs. Dies zeigt, dass die ketogene Ernährung weit mehr Potential besitzt als ihre klassische Anwendung bei Epilepsie andeutet. Auf dem klassischen EMG Symposium, wird es dann auch noch einen Vortrag zur carnivoren Ernährung, quasi einer Sonderform der ketogenen Ernährung, von Amber O’Hearn aus den USA geben. Drei weitere Vorträge beschäftigen sich dann mit den Gemeinsamkeiten von traditioneller chinesischer und evolutionärer Medizin. Zum Abschluss gibt es drei Vorträge, die sozusagen über den Tellerrand hinaus blicken und sich mit Spiritualität und Wissenschaft (Prof. Dr. Harald Walach), der möglichen Evolution von Leben im Universum allgemein (Prof. Dr. Dirk Schulze-Makuch) und einer Hochdosis-Vitamin D Therapie gegen Multiple Sklerose (Dr. Dirk Lemke) beschäftigen.

Das Symposium startet am Freitag, 20. September mit praktischen Vorträgen, die sich speziell auch an Ernährungsberater(innen) richten. Am Samstag tragen dann viele internationale Referenten zum Thema ketogene Ernährung vor. Am Sonntag schließlich findet das traditionelle EMG Symposium statt, auf dem auch einige Firmen mit interessanten Produkten ausstellen werden. Hauptsponsor für alle drei Tage ist die Firma Dr. Schär. Fortbildungspunkte für Ärzte wurden von der Byerischen Landesärztekammer genehmigt.

Infos zum Programm, den Preisen und der Anmeldung gibt es unter https://evolution-medizin-gesundheit.org/2019/03/19/symposium-2019-der-emg/.

Comments to my realist review on ketogenic diets for cancer patients

Recently, I had the honor to correspond with Dr. Prasanta Bandyopadhyay about my realist review of ketogenic diets (KDs) for cancer patients (Beneficial effects of KDs for cancer patients (Klement 2017)). Dr. Bandyopadhyay is a professor of Philosophy in the Department of History, Philosophy, and Religious Studies at Montana State University, USA (check out his homepage here). Together with Gordon Brittan Jr. and Mark L. Taper he has written one of the most inspiring books I have recently read: Belief, Evidence and Uncertainty – Problems of Epistemic Inference. In my review, I had taken the concepts of evidence and confirmation developed in this book to summarize the available evidence for any putative anti-tumor effects of KDs in cancer patients and whether we should believe that such effects are “real” (in the sense of occurring in real world settings). Weiterlesen

Calories, Carbs and Cancer

More than 125 years ago, Vienna medical student Ernst Freund noticed a strange phenomenon in some of his patients. Similar to diabetics, those with cancer had an “abnormal sugar content” in their blood that disappeared after surgical removal of the tumor. Some decades later, as a professor, he and others showed that compared to normal cells, cancer cells have a particularly sweet tooth in the sense that they would take up large amounts of glucose from culture medium which would stimulate their rapid growth. The most famous experiments were conducted by Otto Warburg and his colleagues in the 1920s at the Kaiser-Wilhelm Institute for Biology in Berlin. Warburg, a German biochemist and later Nobel laureate, had shown that tumor cells distinguish themselves from almost all normal cells through their preference to ferment glucose to lactate in a process known as glycolysis (1, 2). Weiterlesen

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