Am Mittwoch, den 29. Januar, war ich als Referent eingeladen, beim
jährlichen „Update Mammakarzinom“, das von Prof. Dr. Weigel im Leopoldina
Krankenhaus veranstaltet wird, über das Thema „Ketogene Ernährung unter
Tumortherapie?!“ vorzutragen. Eigentlich nichts besonderes, immerhin habe ich
darüber schon oft geredet und kann die meisten Studien aus dem Gedächtnis
zitieren. Besonders war allerdings die Tatsache, dass viele meiner
Arbeitskolleginnen und -kollegen und natürlich auch viele Ärzte unseres
Krankenhauses und der Umgebung anwesend waren, und ich darin eine Chance sah, mehr
Interesse an der ketogenen Ernährung als komplementäre Tumortherapie und der
dahinter steckenden Physiologie zu wecken. Doch es sollte tatsächlich ein
besonderer Vortrag werden, der vielen noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Mein Ziel war, eine allgemeine Einführung in das Thema zu geben, ein paar Synergieeffekte mit Strahlen-, Chemo und zielgerichteten Therapien zu zeigen und unsere eigenen Zwischenergebnisse aus der KETOCOMP Studie vorzustellen. Der Vortrag kann hier heruntergeladen werden. Schon während dem Vortrag entstand im Saal vor allem in den hinteren Reihen ein Getuschel, das ich während dem Reden als gar nicht so stark wahrnahm, das aber nach späterer Aussage meiner Arbeitskollegen fast schon unverschämt laut war. Ich weiß nur noch, dass das Getuschel laut wurde, als ich Wilhelm Brünings‘ historische Studie [1] zur „kohlenhydratfreien Ernährung“ kombiniert mit hohen Insulingaben aus dem Jahr 1941/42 vorstellte.
Nach einem wissenschaftlichen Vortrag ist es normalerweise üblich, dass man
ein paar Fragen aus dem Publikum zulässt und kurz über die dargestellten Daten
und Hypothesen diskutiert. Ich freute mich schon auf Fragen, doch es kamen
keine; stattdessen gingen einige sofort zum Angriff über. Ein Arzt am
Leopoldina behauptete, er habe früher in Würzburg zusammen mit Ulrike Kämmerer
gearbeitet und beide hätten sehr früh die Idee einer ketogenen Ernährung für
Tumorpatienten fallen gelassen. Leider ein Eigentor, denn ich erwiderte, dass
ich mit Ulrike befreundet sei und deshalb wüsste, dass sie sehr wohl noch an
der ketogenen Ernährung forscht. Die nächste Attacke kam von einem Onkologen im
Ruhestand, der zuerst einmal ausführlcih darstellte, wie lange er als Onkologe
gearbeitet hatte und dass er neben dem Dr. med. auch ein Biochemiestudium
absolviert hatte. Mir war klar: Alles was jetzt kommt muss der Wahrheit
entsprechen, denn wie kann sich jemand, der Arzt und Biochemiker zugleich ist,
irren? Das ist das Prinzip der Eminence-based Medicine! Und so spulte er –
übrigens auch Schweinfurter Lokalpolitiker – einen fünfminütigen Monolog ab,
der im wesentlichen aus fünf Kritikpunkten bestand, aber vom Stil her eher an
eine Parteienwahlkampfrede auf dem Marktplatz, nicht aber einen wissenschaftlichen
Disput erinnerte. Unter anderem kritisierte er das Ergebnis einer relativ neuen
iranischen Studie [2], die ich vorgestellt hatte, welche einen
Überlebensvorteil von neoadjuvant mit Chemotherapie behandelten und sich dabei
ketogen ernährenden Frauen zeigen konnte putty download , als „nicht signifikant“, obwohl die
Kaplan-Meier Kurven mit p=0,04 nominell signifikant verschieden waren. Auch
stritt er jegliche Relevanz von präklinischen Studien und Einzelfallberichten für
die Klinik ab, und behauptete, die ketogene Ernährung würde Patienten
aushungern ohne aber den Tumor aushungern zu können, da man ihm nie die Glukose
entziehen könne. Ich hatte übrigens mit keinem Wort behauptet, dass das Ziel
einer ketogenen Ernährung das Aushungern des Tumors sei. Schließlich das
Argument, es gebe keine Evidenz für die ketogene Ernährung bei Krebs
(inzwischen mein Lieblingsargument, zu dem ich bereits einige Leserbriefe und
Arbeiten verfasst habe [3–5]). Ich fragte ihn, welche Ernährung er
denn Patienten empfehlen würde, worauf die Standard-Antwort (ich hätte mir die
Frage auch sparen können) „eine ausgewogene Ernährung“ kam. Ich fragte, welche
Studie denn Evidenz zu Gunsten einer „ausgewogenen Ernährung“ geschaffen hätte,
doch dann meldete sich schon die nächste Stimme aus dem Publikum zu Wort: Eine
Krankenschwester, die – ebenfalls in einem knapp fünfminütigen, sehr
emotionalen Monolog – ihre Erfahrung mit kachektischen palliativen
Krebspatienten wiedergab. Diesen hatte offenbar eine selbst verordnete ketogene
Ernährung nicht mehr geholfen, obwohl sie sich „jedes Stück Sahnetorte“
verkniffen hatten und damit ihrer Meinung nach auch das letzte Stückchen
Lebensqualität aufgegeben hatten. Ich erwiderte, es gebe eben gerade bei
kachektischen Patienten einen „point of no return“, ab dem kein spezieller Ernährungsansatz
den Krankheitsverlauf mehr umkehren könne, und dass mein Vortrag vor allem um
die ketogene Diät als komplementärer Ansatz bei kurativem Behandlungsziel ging.
Schließlich kam noch von irgendjemand der Vorwurf, das Internet würde Patienten
falsch über sogenannte „Krebsdiäten“ informieren und auf eigene Faust
durchgeführte ketogene Diäten in einer Mangelernährung enden. Ich konnte
erwidern, Falschinformation im Internet sei heute ein allgemeines Problem, das
nichts mit der ketogenen Ernährung an sich zu tun hat. Schließlich war ich
froh, als mein Chefarzt Reinhart Sweeney das Wort ergriff und zur Mäßigung
aufrief. Er stellte heraus, wie wichtig vor allem unsere KETOCOMP Studie für
das Leopoldina Krankenhaus sei, da das Darm- und Brustzentrum auch von der
Anzahl unserer Studienpatienten profitiere (als zertifiziertes Zentrum sollte
man Studien durchführen) und da wir weltweit eines der größten Kollektive von
sich ketogen ernährenden Patienten hätten.
Nach dem Vortrag kamen einige Zuhörer zu mir, die sich sehr positiv
äußerten. Im Gedächtnis geblieben ist mir ein Pharma-Vertreter, dessen Sohn
erfolgreich mit ketogener Ernährung eine starke Colitis Ulcerosa in Schach
hält. Für diesen Mann war klar, dass auch Einzelfälle zählen. Andere
beschwerten sich über die aggressiven Kommentare aus dem Publikum. Beim
anschließenden Essen stand ich dann irgendwann neben dem Herrn
Lokalpolitiker-Arzt-Biochemiker, der allerdings selbst im persönlichen Gespräch
hartnäckig blieb. Er hatte ein großes Problem damit, vor dem Vortrag nichts von
unserer Studie gewusst zu haben. Den Vogel schoss er dann mit seiner Behauptung
ab, Patientinnen würden unter ketogener Ernährung eine Ketoazidose entwickeln.
Doch es kam noch schlimmer: Im Nachgang erfuhr ich, dass er sich darüber
mokierte, ich hätte eine „KZ-Studie“ vorgestellt. Ein eindeutiger Beleg, dass
er sich nicht einmal bemüht hat, etwas über Wilhelm Brünings und dessen Studie
aus dem Jahr 1941 nachzulesen. Diese fand in Brünings‘ Privatklinik statt, und
letzterer betont explizit die Wichtigkeit der ausreichenden Kalorienzahl für
seine Patienten (wie man im Original [1] oder in meinem Übersichtsartikel dazu
nachlesen kann [6]).
Insgesamt war dieser Abend das beste Beispiel für den fundamentalistischen
Charakter eines Keto-Skeptizismus, den man – wenn auch etwas abgeschwächt –
auch in der Fachliteratur finden kann. Der fundamentalistische Skeptizismus
argumentiert gegen eine ketogene Ernährung bei Tumorpatienten anhand von
Behauptungen, die nicht mit Daten belegt werden können. Das angebliche
Herbeiführen einer Ketoazidose bei nicht-Typ I Diabetikern, die Notwendigkeit
einer gewissen Menge an Kohlenhydraten in der Ernährung oder das Herbeiführen
eines kachektischen Zustandes sind Beispiele dafür. In einem aktuellen systematischen
Übersichtsartikel, den ich zusammen mit meiner Masterstudentin Nanina Brehm und
Reinhart Sweeney geschrieben habe, äußern wir uns zu diesem
fundamentalistischen Skeptizismus und zeigen anhand der Daten dass er nicht
begründbar ist [7].
Ganz aktuell berichtet die Diplom-Psychologin Ilona Bürgel von einem
ähnlichen Erlebnis, als sie nach einem Vortrag auf dem europäischen Kongress
für positive Psychologie heftig von einer Professorin attackiert wurde [8]. Auch sie hatte in diesem Moment kaum
eine Chance, Dinge mit Argumenten richtig zu stellen. Doch auch sie nimmt aus
diesem Erlebnis viel positives mit: Die Zufriedenheit darüber, gut vorbereitet
gewesen zu sein und im Rahmen der nicht erwarteten heftigen Reaktion gut
reagiert zu haben sowie die Verbundenheit mit den Menschen, die nach dem
Vortrag positives Feedback gegeben haben. Das kann ich nur bestätigen und noch
hinzufügen, dass mich dieses Ereignis umso mehr motiviert, weiter an dem Thema
ketogene Ernährung für Tumorpatienten zu forschen, damit wir uns bei künftigen
Diskussionen noch besser auf Daten stützen können.
Literatur:
[1] Brünings W. Beiträge zum Krebsproblem.
1. Mitteilung: Ueber eine diätetisch-hormonale Beeinflussung des Krebses.
Münchener Medizinische Wochenschrift 1941;88:117–23.
[2] Khodabakhshi A, Akbari ME, Mirzaei HR,
Mehrad-Majd H, Kalamian M, Davoodi SH. Feasibility, Safety, and Beneficial
Effects of MCT-Based Ketogenic Diet for Breast Cancer Treatment: A Randomized
Controlled Trial Study. Nutr Cancer 2019;0:1–8.
doi:10.1080/01635581.2019.1650942.
[3] Klement RJ. Erheblicher Schaden für den
Patienten durch Kohlenhydaratarme Ernährung. Wo ist die Evidenz? Leserbrief zum
Beitrag “Krebsdiäten”, FORUM 2014.29;400-404.
[4] Klement RJ. Beneficial effects of
ketogenic diets for cancer patients: a realist review with focus on evidence
and confirmation. Med Oncol 2017;34:132. doi:10.1007/s12032-017-0991-5.
[5] Klement RJ. Ungerechtfertigte
Empfehlungen zur ketogenen Diät. Urologe 2018;57:605–6.
doi:10.1007/s00120-018-0632-4.
[6] Klement RJ. Wilhelm Brünings’ forgotten
contribution to the metabolic treatment of cancer utilizing hypoglycemia and a
very low carbohydrate (ketogenic) diet. J Tradit Complement Med 2019;9:192–200.
doi:10.1016/j.jtcme.2018.06.002.
[7] Klement RJ, Brehm N, Sweeney RA.
Ketogenic diets in medical oncology: a systematic review with focus on clinical
outcomes. Med Oncol 2020;37:14. doi:10.1007/s12032-020-1337-2.
[8] Bürgel I. Vom Nutzen ungerechtfertigter
Kritik. MTA Dialog 2020;21:110–1.