Offener Brief von Wissenschaftlern gegen Impfpflicht

Eine Impfpflicht mit Covid-19 Vakzinen ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand rechtlich und ethisch nicht begründbar.

Die von Befürwortern einer allgemeinen Impfpflicht vertretene Auffassung, dass die kollektive Impfung in der gegenwärtigen Situation alternativlos sei, ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand unhaltbar. Es gibt keine den üblichen Standards folgenden wissenschaftlichen Daten, die belegen, dass die Impfung für jede Bürgerin, jeden Bürger unabhängig von Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen oder anderen Faktoren mehr Nutzen als Schaden stiftet.

Weder liegen hierzu die üblicherweise in Zulassungsverfahren geforderten Daten aus randomisierten kontrollierten Studien noch aus epidemiologischen Kohorten mit hinreichender Qualität vor. Für große Gruppen der Bevölkerung gibt es überhaupt keine Evidenz für einen Nutzen, z.B. für gesunde Kinder und junge Erwachsene oder für Schwangere im ersten Drittel der Schwangerschaft. Dagegen ist ein Schaden nicht auszuschließen, sondern ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sogar anzunehmen. Solche Gruppen zur Impfung zu nötigen, heißt von ihnen zu fordern, dass sie eine Körperverletzung hinnehmen. Die Frage, ob eine Impfung für eine konkrete Person sinnvoll ist oder nicht, verbleibt eine individuelle Entscheidung, die ggfs. nach Rücksprache mit einer Ärztin/Arzt des Vertrauens von jeder Bürgerin und jedem Bürger, bzw. von Eltern in eigener Verantwortung beantwortet werden muss. Die immer wieder postulierte »Notlage« ist hypothetisch und muss nach fast zwei Jahren in einem der bestentwickelten Gesundheitssysteme der Welt als unrealistisch betrachtet werden. Die scheinbare Begründung einer solchen Notlage durch mathematische Modelle führt in die Irre. Sofern trotz der in Deutschland verfügbaren Kapazitäten Versorgungsprobleme auftreten, ist vielmehr nach der politischen und organisatorischen Verantwortung zu fragen.

Dem Staat fehlt nach dem Vorgesagten jegliche wissenschaftliche, rechtliche und ethische Legitimation, sich über den Willen von Bürgerinnen und Bürgern hinwegzusetzen.

Neben der allgemeinen Impfpflicht wird die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Krankenhauspersonal, Beschäftigte in der Pflege etc. unter dem Gesichtspunkt eines erhöhten Schutzbedarfs vulnerabler Gruppen diskutiert. Die bisherigen Erfahrungen in der Bundesrepublik zeigen, dass nach einer gewissen Einschwingzeit am Anfang der Pandemie die professionelle Hygiene dieser Berufsgruppen ausreichend ist, Ausbrüche weitestgehend zu verhindern. Eine generelle Impfpflicht in diesen Berufsgruppen muss somit als unverhältnismäßig angesehen werden, auch und gerade vor dem Hintergrund einer Infizierbarkeit durch Geimpfte. Ein konsequenter Infektionsschutz erfordert bei entsprechender epidemischer Lage die Testung des Personals unabhängig von dessen Immunstatus, womit der Zusatznutzen der Impfung fraglich wird und eine Impfpflicht nicht gerechtfertigt werden kann.

Auch in dieser Situation hat der Staat nicht das Recht, die individuelle Entscheidung über die Impfung vorzuschreiben, da es niederschwellige Maßnahmen gibt, die den gleichen Zweck erfüllen.

Die Unterzeichner

Prof. Dr. Karl-Heinz Jöckel, Essen
Prof. Dr. Ulrich Keil, Münster
Dr. Angela Spelsberg, Aachen
Prof. Dr. Andreas Schnepf, Tübingen
Prof. Dr. Michael Esfeld, Lausanne
Prof. Dr. Paul Cullen, Münster
Prof. Dr. Bernhard Müller, Melbourne
Prof. Dr. Boris Kotchoubey, Tübingen
Prof. Dr. Tobias Unruh, Erlangen
Dr. Sandra Kostner, Schwäbisch Gmünd
Dr. René Kegelmann, Stuttgart
PD Dr. Stefan Luft, Bremen
Prof. Dr. Harald Schwaetzer, Biberach
Prof. Dr. Andreas Brenner, Basel
Prof. Dr. Wolfram Schüffel, Marburg
Prof. Dr. Anke Steppuhn, Stuttgart
Prof. Dr. Saskia Hekker, Heidelberg
Jun.-Prof. Dr. Alexandra Eberhardt, Paderborn
Dr. Henning Nörenberg, Malmö
PD Dr. Axel Bernd Kunze, Bonn
Prof. Dr. Henrieke Stahl, Trier
Dr. Jens Schwachtje, Nürtingen
Prof. Dr. Christin Werner, Dresden
Prof. Dr. Ole Döring, Berlin
Dr. Christian Lehmann, München
Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann, Hagen
Prof. Dr. Stefan Homburg, Hannover
Prof. Dr. Salvatore Lavecchia, Udine
Prof. Dr. Steffen Roth, La Rochelle und Vilnius
Dr. Jan Dochhorn, Durham
Prof. Dr. Günter Roth, München
Dr. Hans-Jörg Ulmer, Leinfelden-Echterdingen
Prof. em. Dr. Stephan Rist, Bern
Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Bazenheid
PD Dr. Rainer Klement, Schweinfurt
Dr. Matthias Burchardt, Köln
Prof. Dr. Eberhard Göpel, Bielefeld
Prof. Dr. Sven Hildebrandt, Dresden
Dr. Justine Büchler, Dresden
Prof. Dr. Martin Winkler, Winterthur
Dr. Agnes Imhof, Erlangen
Prof. Dr. Viktoria Däschlein-Gessner, Bochum
Prof. Dr. Jörg Matysik, Leipzig
Dr. Christian Mézes, Schwäbisch Gmünd
Dr. Mohamed Mahde Saleh, Bonn
Prof. Dr. Alexander Blankenagel, Berlin
Dr. Dana Sindermann, St. Gallen
Prof. Dr. Gerald Dyker, Bochum
Prof. Dr. Pietro Corvaja, Udine
Prof. Dr. Klaus Morawetz, Münster
Prof. Kerstin Behnke, Weimar
Prof. Dr. Christina Zenk, Trossingen
Prof. Dr. Friedrich Röpke, Heidelberg
Prof. Dr. Hardy Bouillon, Trier

COVID-19: Ein düsteres, aber leider aufgeblasenes Modell fernab der Realität

(Dieser Artikel ist in leicht veränderer Form auch auf Rubikon erschienen)

Am 8. Juni 2020 titelte die BBC News “Coronavirus: Lockdowns in Europe saved millions of lives” [1]. Basis dieser Behauptung bildet eine Modellierungsarbeit vom COVID-19 Response Team des Imperial College London mit Hauptautor Seth Flaxman [2]. Das Modell der Gruppe benutzt die täglichen COVID-19 Sterbezahlen von 11 europäischen Ländern bis zum 4. Mai 2020, um daraus mit Hilfe bestimmter Modellannahmen auf die tägliche Zahl der Neuinfektionen rückzuschließen. Verschiedene Regierungsinterventionen der einzelnen Länder wie die Einführung des Abstandsgebots, Absage öffentlicher Veranstaltungen, Schulschließungen und Lockdown wurden im Modell so berücksichtigt, dass jede Maßnahme die Reproduktionszahl R um einen gewissen Faktor reduziert, der anhand der Daten abgeschätzt wird. Das bedeutet, mehrere Maßnahmen reduzieren R multiplikativ. Die Reproduktionszahl wiederum bestimmt maßgeblich die Zahl der täglichen Neuansteckungen, welche zusammen mit der sogenannten “Infection fatality ratio“ und einer angenommenen Zeitdauer von einer Infektion bis zum Tod die Zahl der täglichen COVID-19 Tode bestimmt. Letztere sind ja als Daten gegeben und erlauben so im Rahmen einer Bayes-Analyse eine Abschätzung der unbekannten Effekte der Regierungsmaßnahmen. Insbesondere folgt nach dieser Berechnung, dass ohne jegliche Maßnahme bis zum 4. Mai 3.100.000 Tode mehr zu erwarten gewesen wären.   

Allein der gesunde Menschenverstand fragt sich, ob dieses Ergebnis realistisch sein kann. In der Tat basiert die Modellierung der täglichen Todeszahlen meines Erachtens auf drei sehr unrealistischen Annahmen:

1. Die Infection fatality ratios (IFRs), die In Supplementary Table 3 der Studie gegeben sind [2], erscheinen viel zu hoch (0.91-1.26%). Die Werte basieren auf früheren Modellen der gleichen Gruppe [3], die frühe Daten aus China verwendet hat. Streeck et al. zum Beispiel fanden in Heinsberg, einem SARS-CoV-2 Infektions-Hotspot in Deutschland, eine IFR von
0.36% [4].
2. Die tägliche Todesziffer hängt im Modell neben der IFR auch von der kumulativen täglichen Zahl der Neuinfektionen im Zeitraum vor betrachteten Tag X ab (Seite 4 im Supplementary Material [2]). Die Zahl der Infektionen an einem gegebenen Tag wiederum hängt vom R-Wert ab und der Zeit, die zwischen eigener Infektion und Infektion einer anderen Person vergeht (wofür Flaxman et al. im Mittel 6,5 Tage annehmen). Die grundlegende Annahme hierbei ist, dass jede Infektion auch wieder sekundäre Infektionen auslöst, da die Tatsache, dass manche Menschen von vornherein immun sind, nicht berücksichtigt wird. Zwar haben sie einen „Korrekturterm“ für Herdenimmunität eingebaut, aber dieser richtet sich ausschließlich nach der kumulativen Zahl der Infektionen bis zum Tag X und der Größe der Population. Dieser Korrekturterm ist so konzipiert, dass erst dann keine neuen Infektionen mehr auftreten, wenn die kumulative Zahl der Infektionen bis Tag X gleich der Zahl der Individuen in der Population ist, sprich wenn sich jeder mal angesteckt hatte. Das ist absurd, wie neuere Arbeiten zeigen, Denn wenn man annimmt, dass manche Personen nicht empfänglich für SARS-CoV-2 sind, weil ihr Immunsystem mit dem Virus fertig wird, genügen laut einer anderen Modellierungsstudie schon 7-18% Infizierte, um Herdenimmunität zu erreichen [5].

3. Der R-Wert ist so modelliert, dass er ohne Intervention bei seinem Ausgangswert von im Mittel 3,28 bleibt (Seite 6 im Supplementary Material [2]). Das bedeutet, dass ohne Intervention der einzige Effekt, der zu einer Abnahme der täglichen Neuinfektionen führt, die sich langsam aufbauende Herdenimmunität ist, die ich in Punkt 2 beschrieben habe. Die Neuinfektionen enden ohne Intervention somit erst, wenn die gesamte Bevölkerung infiziert war bzw. ist, denn nur dann ist in dem Modell die Herdenimmunität erreicht. Dies würde die enorme Todeszahl bei Weglassen aller Interventionen erklären.

Der Effekt der Interventionen, der ja aus der tatsächlich beobachteten
täglichen Zahl der Todesfälle durch das Modell abgeschätzt wird, ist
somit komplett überblasen, da man 100% Infektionsrate zum Erreichen der
Herdenimmunität angenommen hat und weil der R-Wert ohne Regierungsmaßnehmen nicht abnehmen kann. Die WHO selbst hat offenbar verkündet, dass Ansteckungen durch Personen ohne Symptome äußerst selten sind, was in dem Modell von Flaxman et al. nicht abgebildet wird. Somit entbehrt das Modell trotz einiger intelligenter Annahmen und Verknüpfungen zu unbekannten Variablen jedes Bezugs zur Realität, wie schon damals als die Imperial College Gruppe horrende Prognosen publizierte [6], die teilweise zur Rechtfertigung der Lockdowns benutzt wurden.

Interessant ist übrigens, dass die Autoren in dem Paper sich unter den “Acknowledgements“ bei der Bill and Melinda Gates Foundation für Unterstützung bedanken [2]. Eigentlich würde solch ein Statement unter die Rubrik „Conflicts of Interest“ gehören, ist doch bekannt, dass die Bill and Melinda Gates Foundation durch die Angst vor COVID-19 profitiert, welche u.a. durch solche Modelle geschürt wird. Interessant ist auch, dass der Co-Autor Neil Fergusson, der in einer vorherigen Publikation der Gruppe noch „grants from Gavi, the Vaccine Alliance, Janssen Pharmaceuticals, and the Bill and Melinda Gates Foundation“ angab [3], diese in der Flaxman Arbeit nicht mehr angibt. Solche Zuwendungen fallen aber definitiv in die Kategorie der Interessenkonflikte und hätten somit angegeben werden müssen!

Referenzen

[1]        Gallagher J. Coronavirus: Lockdowns in Europe saved millions of lives 2020. https://www.bbc.com/news/health-52968523 (accessed June 20, 2020).

[2]        Flaxman S, Mishra S, Gandy A, Unwin HJT, Mellan TA, Coupland H, et al. Estimating the effects of non-pharmaceutical interventions on COVID-19 in Europe. Nature 2020. doi:10.1038/s41586-020-2405-7.

[3]        Verity R, Okell LC, Dorigatti I, Winskill P, Whittaker C, Imai N, et al. Estimates of the severity of coronavirus disease 2019: a model-based analysis. Lancet Infect Dis 2020. doi:10.1016/S1473-3099(20)30243-7.

[4]        Streeck H, Schulte B, Kümmerer BM, Richter E, Höller T, Fuhrmann C, et al. Infection fatality rate of SARS-CoV-2 infection in a German community with a super-spreading event. MedRxiv 2020. doi:https://doi.org/10.1101/2020.05.04.20090076.

[5]        Gomes MGM, Aguas R, Corder RM, King JG, Langwig KE, Souto-Maior C, et al. Individual variation in susceptibility or exposure to SARS-CoV-2 lowers the herd immunity threshold. MedRxiv 2020:2020.04.27.20081893. doi:10.1101/2020.04.27.20081893.

[6]        Ferguson NM, Laydon D, Nedjati-Gilani G, Imai N, Ainslie K, Baguelin M, et al. Report 9: Impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand. London: 2020. doi:10.25561/77482.

Wissenschaft, Evidenz und die aktuelle Wodarg-Denunziation

(Dieser Artikel ist in leicht veränderter Form auch auf Rubikon erschienen)

Der aktuelle Ausnahmezustand basiert auf der Prämisse, dass der COVID-19 Erreger extrem virulent, das heißt sehr ansteckend und tödlich, ist. Der Epidemiologe Dr. Wolfgang Wodarg war von Beginn der COVID-19 Krise an einer der wenigen, die diese vom Mainstream unkritisch für wahr befundene Prämisse hinterfragt haben. Ihm zufolge ist an der derzeitigen Erkrankungswelle und Mortalitätsrate nichts Außergewöhnliches. Dies belegt er auch mit Daten und Verweisen auf externe Quellen, wie man auf seiner Homepage nachlesen kann. Dennoch wird Wodarg aktuell zunehmend für seine Aussagen kritisiert. In einem Artikel „Coronavirus: Warum die Aussagen von Wolfgang Wodarg wenig mit Wissenschaft zu tun haben“ warfen die beiden Journalisten Frederik Richter und Bianca Hoffmann Dr. Wodarg Unwissenschaftlichkeit vor und behaupten, er vermische Fakten mit Spekulationen [1]. In die gleiche Kerbe schlägt die Tagesschau mit ihrem Artikel „Alles nur Panikmache?“ [2] oder der Spiegel  [3]. Hier möchte ich als kurz auf einige Argumente gegen Wodarg eingehen.

Mutation und Virulenz

Richter und Hoffmann schreiben: „Wodarg argumentiert, dass es ein normaler Vorgang sei, dass sich Viren verändern, um sich verbreiten zu können. Allerdings lässt er die Problematik des aktuellen SARS-CoV-2-Ausbruch unter den Tisch fallen: Für dieses Virus gibt es bisher weder einen Impfstoff noch eine Immunität in der Bevölkerung. Lässt man der Pandemie also ihren Lauf, ist das Gesundheitssystem schnell überlastet“ [1].

Richter und Hofmann scheinen hier einen kausalen Zusammenhang zwischen Mutationen und Ansteckungsgefahr zu ziehen. Allerdings sind Mutationen bei Viren, auch wenn ihnen der Laie vielleicht etwas Machtvolles oder Unberechenbares zuschreibt, völlig normal und spielen in deren und unserer Entwicklung eine wichtige Rolle. Es gibt keinen Grund zu der a priori Annahme, dass Mutationen per se einen Virus virulenter machen; das gilt auch für Mutationen, die es einem Virus wie SARS-CoV-2 erlauben, vom Tier auf den Menschen übertragen zu werden [4]. Das gibt auch die Tagesschau zu, schreibt dann aber: „Allerdings deuten die ersten Erfahrungen mit dem neuen Virus darauf hin, dass Infektionen häufiger schwer oder sogar tödlich verlaufen als beispielsweise bei Grippeviren“ [2].  Schauen wir uns die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Virus in Italien und Deutschland mal an.

Das italienische Institute Superiore di Sanita veröffentlichte am 17. März einen Bericht zu den positiv getesteten und verstorbenen Fallzahlen in Italien (https://www.epicentro.iss.it/coronavirus/bollettino/Report-COVID-2019_17_marzo-v2.pdf). Demnach betrug das mediane Alter der Patienten mit COVID-19 Diagnose 63 Jahre, das der verstorbenen Patienten 80,5 Jahre. Nur 0,8% aller Verstorbenen hatten keine Begleiterkrankung, jeweils knapp ein Viertel hatte eine bzw. zwei Komorbiditäten, und fast die Hälfte (48,5%) besaß drei oder mehr Begleiterkrankungen. Die Zahlen für Deutschland ergeben ein ähnliches Bild [5]: Das Durchschnittsalter der bisher Verstorbenen 39 Patienten, über die medial berichtet wurde, lag bei über 80 Jahren, der jüngste Patient war 49 Jahre. Mindestens 81% wiesen mindestens eine Komorbidität auf.

Zusammengenommen scheinen diese Daten Wodarg‘s Hypothese, das neue Virus sei nicht gefährlicher als normale Grippeviren, bisher also zu bestätigen und die Behauptungen der Wodarg-kritischen Journalisten zu widerlegen. Eine neue Abschätzung der Infektions-Sterberate durch eine japanisch-amerikanische Arbeitsgruppe kommt auf einen Wert von 0,04 Prozent [6], was Wodarg’s Argument weiter bestätigen würde, wobei diese Berechnung erst noch von Fachkollegen im sogenannten Peer-Review-Verfahren geprüft werden muss.

Als letzte Anmerkung sei erwähnt, dass allein die tägliche Auflistung neuer Fälle keine objektive Beurteilung ob der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2 Virus im Vergleich zu anderen Viren zulässt. Es fehlen nämlich parallele Aufzählungen von anderen Virusinfektionen und damit zusammenhängender Todesfälle. Letztere werden zum Teil nicht getestet und nicht berichtet. Subjektiv entsteht aber der Eindruck, dass die SARS-CoV-2-Pandemie täglich weiter um sich greift. 

Das Argument mit dem Test

Die Journalisten Richter und Hofmann und die Tagesschau kritisieren Wodarg dafür, dass er Skepsis gegenüber dem in der Charité entwickelten SARS-CoV-2 Test zeigt. Wodarg argumentiert auf seiner Homepage (https://www.wodarg.com/) mit den folgenden drei Punkten:

•  Die benutzten Tests sind nicht amtlich validiert, sondern lediglich von miteinander kooperierenden Instituten befürwortet worden.

•  Die Tests werden häufig (Wuhan und Italien) selektiv z.B. bei ohnehin Schwerkranken angewendet und sind dann für die Abschätzung einer Seuchengefahr unbrauchbar.

•  Ohne die in ihrer Aussagekraft und ihrer verfälschenden Anwendung fragwürdigen Tests gäbe es keine Indikation für Notfallmaßnahmen.

Zum ersten Punkt: In der Originalpublikation der Testentwicklung schreiben die Autoren um den Virologen Christian Drosten [7]: “We report here on the establishment and validation of a diagnostic workflow for 2019-nCoV screening and specific confirmation, designed in absence of available virus isolates or original patient specimens. Design and validation were enabled by the close genetic relatedness to the 2003 SARS-CoV, and aided by the use of synthetic nucleic acid technology.”

Der Test wurde also in einem Schnellverfahren ohne originale SARS-CoV-2 Isolate von Patienten, sondern mit Hilfe der synthetischen Biologie auf Basis des alten SARS-CoV entwickelt. In ihrer Studie behaupten die Autoren, der Test habe bei 297 Proben von anderen Viren kein einziges Mal eine positive Reaktion gezeigt [7]. Darunter waren auch 67 Proben anderer menschlicher Coronaviren. Demnach hätte der Test eine Falsch-Positiv-Rate von 0%. Diese Annahme ist allerdings tatsächlich unrealistisch, da es in der klinischen Anwendung diagnostischer Tests immer eine gewisse Falsch-Positiv-Rate gibt. Dass diese nicht bekannt ist, liegt in der Tat an der fehlenden Validierung des Tests, was genau Wodarg‘s Argument ist. Eine chinesische Validierungsstudie zu den in China verwendeten COVID-19 Tests berichtet zum Beispiel von einer mindestens knapp 50-prozentigen Falsch-Positiv-Rate [8]. Rein wissenschaftlich gesehen ist also Skepsis gegenüber dem von Drosten und Kollegen entwickelten Test angebracht, solange bis es weitere Validierungsstudien gibt.

Zum zweiten Punkt: Hier spielt Wodarg auf das Problem der unbekannten Basisrate der CORVID-19 Erkrankung an. Wie ich bereits in einem anderen Artikel erklärt habe [9] puttygen download , ist die Basisrate der Anteil einer Population, welche infiziert ist. Mit anderen Worten ist die Basisrate die Wahrscheinlichkeit, mit der man eine Infektion bei einem zufällig ausgewählten Individuum erwartet ohne einen Test durchgeführt zu haben. Ein positives Testergebnis allein sagt nichts über die Wahrscheinlichkeit aus, auch tatsächlich infiziert zu sein. Um diese nämlich zu berechnen, bedarf es neben den Teststatistiken der Sensitivität und Spezifität (=100 Prozent minus Fasch-Positiv-Rate) auch der Kenntnis der Basisrate, denn nach dem Satz von Bayes gilt:

P(V|T) = P(T|V)*P(V)/P(T)

Hierbei bezeichnet P(V|T) die Wahrscheinlichkeit, mit dem Virus infiziert zu sein (V=Virusinfektion), nachdem ein positives Testergebnis erhalten wurde (T=positiver Test), P(T|V) die Wahrscheinlichkeit, ein positives Testergebnis zu erhalten, wenn man tatsächlich mit dem Virus infiziert ist (=Sensitivität), und P(V) bezeichnet die Basisrate. Das grundsätzliche Problem ist, dass die Basisrate aufgrund der Neuartigkeit von COVID-19 nicht bekannt ist, aber sehr wahrscheinlich bei hospitalisierten Patienten höher ist als in der gesunden Normalbevölkerung. Eine Berechnung der Basisrate aus obiger Formel von Daten, die an schwerkranken Patienten gewonnen wurden, wäre also nicht repräsentativ für die Normalbevölkerung. Abgesehen davon würde die oben bereits erwähnte Unsicherheit der Sensitivität des Tests eine weitere Unsicherheit für die Berechnung der Basisrate darstellen. Allein die positiven Testergebnisse bei Personen mit bereits vorhandenen COVID-19 Symptomen sind also tatsächlich für die Abschätzung der Basisrate in der Bevölkerung unbrauchbar.

Evidenz und Kausalität

Der dritte Punkt Wodarg’s spielt auf die generelle Fragwürdigkeit der Aussage eines positiven Testergebnisses an. Denn selbst wenn wir davon ausgehen, dass nach positiven Test eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus vorliegt, ist die entscheidende Frage dann: was ist die Evidenz dafür, dass der/die positive Getestete die CORVID-10 Krankheit entwickelt und seine/ihre Sterbewahrscheinlichkeit ansteigt? In der Wissenschaftsphilosophie lässt sich Evidenz als Maß dafür auffassen, wie stark Daten eine bestimmte Hypothese gegenüber einer anderen Hypothese stützen [10]. Mit anderen Worten: Evidenz misst das Gewicht einer Hypothese gegenüber einer alternativen Hypothese. Was ist also die Evidenz dafür, dass SARS-CoV-2 eine überhöhte Sterblichkeit bei Infizierten hervorruft? Dies ist eine kausale Hypothese der Form „SARS-CoV-2 ist die Ursache dafür, dass damit infizierte Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit sterben als durch andere normal vorkommende Viren“. Demgegenüber stellen wir die rein korrelative Hypothese der Form „SARS-CoV-2 Infektionen sind mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert, ohne aber die Ursache zu sein“. Können wir bei Patienten zwischen beiden Hypothesen anhand des SARS-CoV-2 Tests unterscheiden? Nein, denn im Krankenhaus gibt es viele weitere Keime, an denen mit SARS-CoV-2 infizierte Patienten versterben können. In diesem Fall wäre die SARS-CoV-2 Infektion lediglich ein Störfaktor einer anderen kausalen Beziehung, und sowohl mit der Ursache (z.B. einem bestimmten Krankenhauskeim) als auch der Wirkung (überhohes Sterberisiko) assoziiert. Ein positiver Test kann also nicht unterscheiden, ob man durch oder mit SARS-CoV-2 stirbt. Um Evidenz für die kausale Hypothese zu bekommen, müsste man auf alle anderen möglichen Keime testen und diese ausschließen. Das heißt zusammengefasst, allein die positiven Testergebnisse an Patienten, die dann versterben, sind keine Evidenz dafür, dass SARS-CoV-2 ursächlich für deren Tod verantwortlich war.

Neben Wodarg macht auch der berühmte Methodiker und Public Health Forscher John P.A. Ioannidis, der zu den meistzitierten Wissenschaftlern der Welt gehört [11], auf die fehlende Evidenz aufmerksam, die die derzeit laufenden drastischen sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen rechtfertigen würde [12]: „[W]e are making decisions without reliable data…The current coronavirus disease, Covid-19, has been called a once-in-a-century pandemic. But it may also be a once-in-a-century evidence fiasco.” Immer mehr hochkarätige Wissenschaftler schließen sich an. So schreibt der Mediziner und ehemalige Chef der anerkannten Cochrane-Kollaboration Peter C. Gøtzsche am 21. März in seinem Blog [13]: „Logik war eines der ersten Opfer der COVID-19 Krise“ (Übersetzung des Autors).

Die Logik der derzeitigen Panikverbreitung ist leider, dass Menschen wie in Italien in die generell ausgelasteten Krankenhäuser strömen, was zu überfüllten Krankenhäusern und damit höherer Mortalität führt. Eine kausale Kette, an deren Anfang Politiker und Massenmedien als Verantwortliche stehen. Dass Journalisten gleichzeitig die Seriosität bzw. „Wissenschaftlichkeit“ von kritischen Wissenschaftlern wie Wodarg in Frage stellen ist nur der Gipfel eines Berges der Irrationalität der derzeitigen COVID-19 Krise.

Referenzen

1. Richter F, Hoffmann B. Coronavirus: Warum die Aussagen von Wolfgang Wodarg wenig mit Wissenschaft zu tun haben. CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. URL: https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/03/18/coronavirus-warum-die-aussagen-von-wolfgang-wodarg-wenig-mit-wissenschaft-zu-tun-haben

2. Taßler J, Heck J. Alles nur Panikmache? tagesschau.de. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. Available from: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-wodarg-101.html?utm_source=pocket-newtabhttps://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-wodarg-101.html?utm_source=pocket-newtab

3. Merlot J. Die gefährlichen Falschinformationen des Wolfgang Wodarg. Spiegel. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. Available from: https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-die-gefaehrlichen-falschinformationen-des-wolfgang-wodarg-a-f74bc73b-aac5-469e-a4e4-2ebe7aa6c270

4. Grubaugh ND, Petrone ME, Holmes EC. We shouldn’t worry when a virus mutates during disease outbreaks. Nat Microbiol. 2020;[Epub ahead of print].

5. COVID-19-Pandemie in Deutschland. Wikipedia. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Deutschland#Todesfälle_in_den_Medien

6. Mizumoto K, Kagaya K, Chowell G. Early epidemiological assessment of the transmission potential and virulence of 2019 Novel Coronavirus in Wuhan City: China, 2019-2020. medRxiv. 2020;2020.02.12.20022434. URL: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.02.12.20022434v1

7. Corman VM, Landt O, Kaiser M, Molenkamp R, Meijer A, Chu DK, et al. Detection of 2019 novel coronavirus (2019-nCoV) by real-time RT-PCR. Eurosurveillance. 2020;25:1–8.

8. Zhuang G, Shen M, Zeng L, Mi B, Chen F, Liu W, et al. Potential false-positive rate among the “asymptomatic infected individuals” in close contacts of COVID-19 patients. Zhonghua Liu Xing Bing Xue Za Zhi [Chinese Journal of Epidemiology]. 2020;41:485–8.

9. Klement RJ. Die Angst-Kampagne. Rubikon; 2020. URL: https://www.rubikon.news/artikel/die-angst-kampagne

10. Klement RJ, Bandyopadhyay PS. Emergence and Evidence: A Close Look at Bunge’s Philosophy of Medicine. Philosophies. 2019;4:50.

11. Ioannidis JPA, Baas J, Klavans R, Boyack KW. A standardized citation metrics author database annotated for scientific field. PLoS Biol. 2019;17:e3000384.

12. Ioannidis JPA. A fiasco in the making? As the coronavirus pandemic takes hold, we are making decisions without reliable data. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. URL: https://www.statnews.com/2020/03/17/a-fiasco-in-the-making-as-the-coronavirus-pandemic-takes-hold-we-are-making-decisions-without-reliable-data/

13. Gøtzsche PC. Corona: an epidemic of mass panic. 2020 [Zugriff 21. März 2020]. URL: https://www.deadlymedicines.dk/category/blog/

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